Ist Yoga soziale Gerechtigkeit?

Besonders von Yogalehrern in den USA wird seit George Floyd immer häufiger propagiert: Ja, Yoga ist social justice! Yoga ist politisch und mit Yoga können wir großes in der Welt bewegen.

So sehr ich daran glauben wollte, gelang es mir nie ganz – was ändert es an der Grundsituation, wenn jemand, z. B. aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert oder Opfer eines Krieges wird, wenn wir Asana, Atemübungen und Selbstachtung praktizieren und darüber auf Instagram posten? Immerhin könnten wir auch Yogaklassen auf Spendenbasis geben, um für einen guten Zweck zu spenden, oder generell einen Teil des durch Yogaunterricht erzielten Einkommens spenden. Das könnte man natürlich auch mit jedem anderweitig eingenommenen Geld machen und ist nicht intrinsisch mit Yoga verbunden.

Aber vielleicht hilft es ja den Betroffenen selbst, zu praktizieren?

Im Laufe der letzten Jahre habe ich immer wieder Yogakurse für Geflüchtete angeboten, in unterschiedlichen Umgebungen und Situationen, und auch viel mit anderen Lehrern gesprochen, die in diesem Bereich tätig sind. Sicherlich fühlen sich die Teilnehmenden gut, wenn sie einen Moment eine Pause von ihrem Alltag machen und Zeit mit Freunden und Bekannten verbringen können. Aber das ernüchternde Ergebnis in vielen Fällen war: Das wäre auch so, wenn sie sich in einem schönen Café getroffen hätten. Für Geflüchtete und traumatisierte Menschen ist Yoga ein schöner Bonus, aber was sie wirklich brauchen, das sind stabile Systeme, die sie auffangen – ganz oft einfach Geld, ein sicheres Zuhause, Zugang zu medizinischer und psychologischer Betreuung. Das ist nicht nur meine anekdotische Beobachtung, dazu gibt es handfeste Studien (z. B. Moonda, „Pedagogy of movement – Yoga in migrant projects from a race and class perspective”, Routledge 2021).

Es gibt gerade in Hamburg oder Berlin endlos viele Angebote von Yoga für „benachteiligte Gruppe xyz“; mehr als es Teilnehmer geben kann. Systemische Unterdrückung kann nicht einfach durch Selbststudium und Gewaltlosigkeit durch die Unterdrückten behoben werden.

Jemand, der sich gerade versucht, in eine neue Gesellschaft einzufühlen, hat nicht die Kapazität, sich noch einem ganz anderen philosophischen System aus einer Drittkultur auseinanderzusetzen, so sehr wir uns das als idealistische Yogalehrende wüschen.

Dann gibt es noch einen anderen Aspekt, nämlich wenn Yoga ein Teil von Systemen wird, die dringend Veränderung benötigen: Yoga im Bereich des Militärs, in Gefängnissen und anderen Institutionen, die eng mit der Exekutive einer Regierung zu tun haben. Unterstützen wir nicht eventuell sogar diese oft repressiven Systeme, wenn wir Yoga in diesen Zusammenhängen anbieten? Ana Forrest selbst hat z. B. lange mit dem amerikanischen Militär gearbeitet. Oder auch Business Yoga, das darauf abzielt, Personal möglichst noch höhere Leistungen im Rahmen des kapitalistischen Systems abverlangen zu können. Ich gebe selbst Yoga in Unternehmen. Natürlich ist es super, wenn einzelne Mitarbeiter sich so entspannen können und vielleicht auch beginnen, ihre Gewohnheiten zu hinterfragen. Aber ich glaube nicht, dass ich damit irgendetwas auf der Unternehmensebene bewege.

Susanna Barkataki ist eine der größten Befürworterinnen von „yoga as social justice“ – bildet euch eure eigene Meinung.

Aber was ist denn mit den vielen berühmten Menschen, die soziale Veränderung bewirkt haben und Yoga praktiziert oder sich auf yogische Prinzipien berufen haben?

Man denkt an Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela, aber auch viele andere Politiker und politische Aktivisten. Da kommen wir der Sache vielleicht näher. Aber Achtung: Oft wird Leute nachgesagt, sie hätten Yoga praktiziert, obwohl sie vielleicht nur ein paar klassische Texte zitiert und sonst kein besonders yogisches Leben geführt haben. Das ist ein bisschen wie mit den ganzen Hollywood-Schauspielern, die angeblich vegan leben und dann in einer Burgerbraterei gesichtet werden. Wusstet du z. B. dass Heinrich Goebbels das Haus nie ohne seine Kopie der Bhagavad Gita verließ und den Text als Inspiration für den Holocaust sah? Yoga könnte also auch Faschismus sein? What?!

Yoga als Werkzeug

Schlussendlich ist Yoga immer das, wozu wir es machen. Es besteht meiner Meinung aber kein Zweifel daran, dass Yoga uns helfen kann, unsere Batterien neu aufzuladen, unseren Körper und Geist zu stärken und einseitige Belastungen durch unseren Alltag auszugleichen. Wenn dir das mehr Kraft gibt, um dich für Veränderungen in der Gesellschaft einzusetzen, dann: More power to you!

Meine Antwort auf diese Frage ist also: Nein, Yoga ist nicht gleichzusetzen mit sozialer Gerechtigkeit. Aber es kann uns beim Einsatz dafür unterstützen, wenn wir es wollen.

Wie siehst du das? Welche Veränderungen bewegt Yoga deiner Meinung nach in der Gesellschaft – oder auch nicht?

Moin!

Lust darauf, mehr in deinem Körper anzukommen und nicht nur deinem Kopf abzuhängen? Yoga ganzheitlich zu praktizieren, ohne ins Esoterische abzugleiten? Dann könnten wir zueinander passen.

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