,

5 Alignment-Mythen

5 Alignment-Mythen

Mythen über Yogaposen und Anatomie

Gefühlt kommt auf zehn Personen, die Yoga unterrichten und kaum oder nur wenig Anweisungen zur individuellen Ausrichtung geben, eine Person, die sehr spezifische Anweisungen gibt. Manchmal ZU spezifische. In meinem Teacher Training und in vielen Yogastilen wird unterrichtet, dass man sich ganz schlimm verletzen kann, wenn man nicht xyz beachtet.

Tendenziell finde ich es besser, Vorsicht walten zu lassen als gar nichts zu sagen und Menschen Asanas praktizieren zu lassen, für die ihr Körper vielleicht gar nicht bereit ist. Allerdings gibt es dabei zwei große Haken:

  • Der Eindruck von Fragilität

Durch die Evolution sind wir darauf konditioniert, vor allem auf negative Dinge zu achten. Das war mal gut für unsere Überlebenschancen, aber wenn wir immer nur hören „das Knie ist sehr empfindlich“ oder „das ist sehr riskant für die Lendenwirbelsäule“, merkt sich unser Hirn vor allem „riskant“ und „empfindlich“. Dies erweckt den Eindruck, dass unser Körper sehr zerbrechlich sei. Das ist er nicht! Im Alltag und auch bei vielen anderen Sportarten führen wir oft Bewegungen aus, die unserem Körper viel abverlangen. Solange wir diese Bewegung nicht Dutzende Mal pro Tag ausführen, täglich, über Jahre hinweg, kann er das gut wegstecken. Im Gegenteil: Wechselnde Belastungen sind sogar gut für unsere Knochen und Gelenke!

  • Anatomische und medizinische Fehlinformationen

Viele dieser Yoga-Warnungen sind nicht auf anatomischen Fakten begründet, sondern auf einer Art „stiller Post“ zwischen Yogalehrenden. Vor fünfzig Jahren hat mal einer etwas in einem Sportmagazin gelesen, was vielleicht gar nichts mit Yoga zu tun hatte, und seitdem wurde es von mehreren Generationen Yogis aneinander weitergegeben. Wenn jemand eine anatomische Behauptung aufstellt, die dir komisch vorkommt – frage am besten nach der Stunde einmal nach, warum genau etwas gefährlich sein sollte. Welches Gelenk, welche Sehnen und welcher Knochen treffen aufeinander, warum ist das schlimm? Wenn man dir keine exakte Antwort geben kann, liegt meist ein Fall von „stiller Post“ vor. Die Sportwissenschaft und auch unser Wissen über funktionale Anatomie entwickelt sich einerseits ständig weiter, vor allem sind die anatomischen Begebenheiten aber auch von Person zu Person unterschiedlich.

Kommen wir also zu fünf häufigen Anatomie-Mythen in Verbindung mit Yogaposen!

  1. In der Baumhaltung: Drücke auf keinen Fall den Fuß ans Knie!

    „Das Knie ist ein Scharniergelenk und nicht dazu gemacht, um gedreht zu werden“, wurde mir im Teacher Training beigebracht. Ach ja? Warum ist die Kniescheibe dann so beweglich? Und wie viel schiere Kraft kann man überhaupt mit dem Fuß gegen das Knie bringen, während man auf einem Bein balanciert? Nicht sehr viel, oder?


    Viele Menschen haben mit Knieverletzungen zu tun, aber ich kann dir garantieren, dass sie sich diese nicht in dieser sanften Balancepose zugefügt haben. Dass gegen das Knie zu drücken für jemanden, der bereits Knieschmerzen hat, nicht angenehm ist, ist sicher wahr.

    Der Funken Wahrheit: Die Pose ist einfach viel stabiler, wenn dein Fuß festen Kontakt zu einem Beinmuskel (Wade oder Oberschenkel) hat, der durch Kontraktion mehr Stabilität bieten kann.

    2. Chaturanga zerschreddert dir die Schulter, wenn du es nicht richtig ausführst

    Ein bisschen ist hier dran, denn in vielen modernen offenen Yogaklassen werden viel zu viele Chaturangas bzw. Vinyasa-Abfolgen in einer Klasse unterrichtet… wenn du mehrmals wöchentlich über einen langen Zeitraum (eher Jahre als Monate) mit schlechter Form durch viele Vinyasas fließt, könnte daraus eine Verletzung durch wiederholte Überbelastung entstehen. Aber dennoch: Das stimmt natürlich für alle sehr oft wiederholten Bewegungen, auch wenn du sie richtig ausführst. Nicht umsonst entwickeln fast alle Profisportler je nach Sportart früher oder später bestimmte Verletzung. Unser Körper ist als Allround-Talent gedacht, nicht dafür, eine Bewegung immer wieder durchzuführen.

    Der Funken Wahrheit: Wusstest du, dass Chaturanga NICHT die Bewegung „in die Planke, Ablegen und dann in die Kobra“ ist, sondern nur die Position, in der du dich mit angespannten Körper mit den Oberarmen parallel zum Boden befindest? Wenn du das nicht richtig ausführst, ist es also gar kein Chaturanga (Sanskrit für „viergliedriger Stab“, wobei deine Hände und Füße die vier Glieder sind und dein Torso und deine Beine der Stab).

    3) Von Krieger 1 zu Krieger 2 zu wechseln ist schlecht fürs Hüftgelenk

    Das ist ein Mythos, den ich auch lange selbst geglaubt habe. Als Grund wird angegeben, dass auf diese Weise die Hüftpfanne langsam „kaputt gerieben“ würde… was für eine Vorstellung! Diese Bewegung befindet sich vollkommen im normalen Bereich der Hüftinnen- und Außenrotation unseres Oberschenkels, und in keiner der beiden Posen sind Hüfte oder Beine besonders instabil.

    Für mich fühlt es sich tatsächlich sehr seltsam an, zwischen den beiden Posen zu wechseln, allerdings nur auf der Hüftseite, die ohnehin anatomisch ein bisschen „speziell“ ist. Auf der anderen Seite ist es einfach eine nicht sehr geschmeidige Bewegung, die Füße und das Becken umsetzen zu müssen… man kann einen Ablauf von Posen einfach besser organisieren ohne diesen Wechsel.

    Der Funken Wahrheit: Viele Yogapraktizierende verstehen den Unterschied der Fuß-/Bein-/Beckenposition in Krieger 1 und 2 nicht besonders gut. Daher ist es vielleicht besser, nicht schnell von der einen Variante in die andere zu wechseln, um nicht zusätzliche Verwirrung zu stiften und alle aus dem „Flow“ zu bringen.

    4) Den Fuß flexen, um das Knie zu schützen

    Vor allem in der Taube ist das eine häufige Ansage. Doch wie können das Fußgelenk und die Sehnen darum unser Knie in dieser Pose schützen? Antwort: Gar nicht. Probiere es mal selbst aus, indem du im Sitzen mit baumelnden Beinen den Fuß flext. Du kannst das Knie vollkommen unabhängig davon weiterbewegen, auch wenn es dich vielleicht ein bisschen mehr Konzentration kostet.

    Der Funken Wahrheit: Tatsächlich ist es mit einem geflexten, also eher aktiven Fuß, oft einfacher, in bestimmte Posen hineinzufinden, besonders, wenn man sehr flexibel ist und nach einer tieferen Dehnung sucht.

    5) „Der Fuß/das Bein/etc.“ muss in einem bestimmten Winkel sein

    Zum Beispiel soll das vordere Schienbein in der Taube parallel zum vorderen Mattenende sein. Der hintere Fuß im Krieger 1, je nach Yogastil, in einem bestimmten Winkel. Nicht einem „ungefähren“ Winkel, sondern einem ganz exakten.

    Das Stichwort heißt hier „je nach Yogastil“. Es handelt sich um individuelle, oft aus ästhetischen Gründen gewählte Präferenzen. Ich hatte schon oft Teilnehmer, die meinten, sie „könnten“ eine Pose nicht, weil eben ihre Gliedmaßen nicht „im richtigen Winkel“ seien. Dabei haben sie die Dehnung und die anderen Vorteile der Pose an exakt den richtigen Stellen gespürt.

    Der Funken Wahrheit: Eigentlich gibt es hier keinen. Oft wurden diese Ansagen so gewählt, weil sie für einen Großteil der Menschen in Indien gut funktioniert haben – in einem ziemlich patriarchalischen System, das nur wenig Platz für individuelle Ausrichtung bot. Allerdings hat ein moderner Westler einen vollkommen anderen Lebens- und Bewegungswandel als Inder, die traditionell viel am Boden saßen… und davon, dass wir einem großen Guru alles nachmachen, sind wir weit entfernt, oder?

    Bonus-Mythos: Pranayama ist SEHR gefährlich! Deswegen sollte man es nur als sehr erfahrener Yogi praktizieren.

    Diese Info stammt aus der Zeit, in der Yoga in den Westen „reiste“. Während wir heute vielleicht ein paar Minuten zu Beginn oder Ende einer Asana-Klasse Pranayama praktizieren, waren ursprünglich separate Einheiten dafür vorgesehen – 20 bis 60 Minuten, unabhängig von der körperlichen Yoga-Praxis. Dennoch verzichten viele Yogalehrerausbildungen und damit auch Klassen heute fast vollkommen auf Atemübungen, weil vor 80 Jahren oder länger mal jemand vor den Auswirkung von Pranayama auf wenig erfahrene Menschen warnten.

    Der Funken Wahrheit: Atemübungen haben eine Wirkung auf unser zentrales Nervensystem, können sich nach längerer Zeit aber durchaus auf unser Herz-Kreislauf-System und den Blutdruck auswirken. Allerdings geschieht das nicht gleich, wenn wir eine Übung 2-3 Minuten lang praktizieren. Angesichts psychischer Erkrankungen, aber auch Atemwegserkrankungen wie z. B. Asthma fühlen sich viele Menschen unwohl mit der Idee, den Atem anzuhalten oder rhythmisch/rauschend ein- und auszuatmen. Nicht nur deswegen ist es eine gute Idee, deinem Yogalehrenden über gesundheitliche Besonderheiten zu informieren – und wenn du dich mit einer Übung nicht wohlfühlst, praktiziere sie einfach nicht, sondern atme in dieser Zeit einfach tief durch die Nase ein und aus.

    Gibt es andere Mythen oder schräge Ansagen, die dich schon immer verwundert haben? Schreibe sie mir, vielleicht können wir ihnen gemeinsam nachgehen 😊

    Hinterlasse einen Kommentar

    Moin!

    Lust darauf, mehr in deinen Körper anzukommen und nicht nur deinem Kopf abzuhängen? Yoga ganzheitlich zu praktizieren, ohne ins Esoterische abzugleiten? Dann könnten wir zueinander passen.

    Let’s connect