Das kleine Yoga-ABC: Ahimsa

Dieses Jahr soll es hier etwas mehr um Yoga-Philosophie gehen… und das ist viel mehr als Atmung und Meditation, sondern ein Rahmen, der uns hilft, unser Leben besser zu navigieren. Genau darum geht es beim Yoga eigentlich, nicht um fancy Posen. Wir fangen an mit “A” für Ahimsa.

Keine Lust auf Lesen? Hör dir den Podcast zum Artikel an:
Copy of Spring Fling Sale

Lust auf Bewegung? Abonniere den Newsletter für Zugang zu Forrest Yoga Klassen in voller Länge – Online.

Ahimsa steht unter den Yamas – in der Yoga-Philosophie sind das sind fünf Regeln für das, was man nicht tun sollte, an erster Stelle. Das Wort bedeutet „Gewaltlosigkeit“ und spielt auch im Buddhismus und Hinduismus eine wichtige Rolle.

In der westlichen Ethik gibt es die goldene Regel als Äquivalent: „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern‘ zu“. Aber Ahimsa geht noch tiefer… man könnte sagen: „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg‘ auch nicht dir selber zu“… aber dazu kommen wir später.

Was ist das überhaupt, Gewalt? Ganz platt gesagt: Einem Lebewesen körperlich oder seelisch Schaden zuzufügen, denn früher oder später Schaden wir uns damit auch selbst. Und damit kommen wir zu der großen Yogi-Frage:

Bedeutet Ahimsa, sich vegetarisch zu ernähren?

Der Mythos, dass man sich als Yogi vegetarisch ernähren sollte, ist gar nicht besonders alt. Vielleicht rührt er daher, dass lange Zeit der einzige Yogastil, für den man außerhalb Indiens ein Teacher Training absolvieren konnte, Jivamukti war. Jivamukti Yoga ist nicht nur die „Mutter“ aller modernen Vinyasa-Stile, sondern auch sehr spirituell orientiert. Die Mitbegründerin Sharon Gannon hat mit „Yoga & Vegetarianism“ ein Buch geschrieben, das sich vollständig mit diesem Thema auseinandersetzt. Für Sie bedeutet Ahimsa in ALLERERSTER Linie, sich vegetarisch bzw. vegan zu ernähren.

person holds pink flower with both hands
Photo by Burst on Pexels.com

Oft wird auch angeführt, dass es in Indien normal sei, sich vegetarisch zu ernähren und Vegetarismus eine traditionelle yogische Tugend ist. Das ist beileibe nicht der Fall! Schätzungsweise nur 20 % aller Inder ernähren sich derzeit vegetarisch, und wie in vielen anderen aufstrebenden Wirtschaftsländern gilt Fleischkonsum sogar als ein Zeichen des Wohlstands (der wohlgemerkt nicht bedeute, dass man besonders reflektiert ist). Ein interessanter BBC-Artikel dazu: https://www.bbc.com/news/world-asia-india-43581122

Auch buddhistische Mönche werden manchmal angeführt – doch interessanterweise ernähren sich die meisten davon auch nicht vegetarisch. Auch wenn die Tempelküche vegetarisch ist, nehmen viele Mönche tierische Produkte zu sich, wenn sie ihnen gegeben werden (wie es z. B. in Thailand sehr üblich ist). Von Thailand gesprochen: Ist dir schonmal aufgefallen, dass man an vielen buddhistischen Tempeln Vögel in Käfigen kaufen kann, um sie dann freizulassen, quasi als „gute Tat“? Wie gewaltlos ist es, das Tier vorher einzufangen oder zu züchten, um es in einen solchen Mini-Kasten zu sperren?

Asien ist also nicht unbedingt da leuchtende Beispiel. Wie ist es bei uns? Wer schon mal einen militanten Veganer getroffen hat, hat wahrscheinlich erlebt, dass sich Ahimsa bei manchen auf den tierischen Ursprung der Lebensmittel beschränkt. Andere Menschen kann man im Namen dieser Gewaltlosigkeit trotzdem anpöbeln.

Wenn wir uns ansehen, was wir alles sonst noch konsumieren, fällt auf: Auch wenn ich mich vegan ernähre, ist es schwer, gleichzeitig nur Produkte von Firmen mit ausgezeichneten ethischen Grundsätzen zu kaufen. Und dann noch gleichzeitig plastikarm leben, Kleidung nur 100 % ethisch korrekt hergestellt kaufen, damit jeder Arbeiter, der etwas für mich herstellt, ein angenehmes Leben führen kann. Wie ist es mit deiner Arbeit? Arbeitest du in einem Unternehmen, dass nur für das Schöne, Gute, Wahre steht? Wenn das so ist, herzlichen Glückwunsch! Leider haben wir im Kapitalismus nicht immer die Möglichkeit dazu.

Wenn ich privat oder beruflich viel fliege, richtet mein ökologischer Fußabdruck in dieser Welt einen großen Schaden an. Auch wenn ich Auto fahre oder allein auf 80 Quadratmeter wohne, richte ich auf die ganze Welt bezogen einigen Schaden an. Die Beispiele sind endlos. Wenn wir uns die Welt ansehen, in der wir leben und wie wir konsumieren, bedeutet Ahimsa also viel mehr, als keine Tierprodukte zu sich zu nehmen.

Trotzdem wird es in der Yogaszene immer wieder so interpretiert. Wie schön es wäre, wenn das so einfach wäre! Wenn man mit nur einer Handlung (vegetarische Ernährung) einen Freifahrschein für moralisch korrektes Verhalten erwerben könnte! Der Mensch versucht von Natur aus, so wenig Aufwand wie möglich zu betreiben. Aber so funktioniert das mit Ahimsa nicht, wie die obigen Beispiele zeigen. Vegan zu leben gibt niemanden das Recht, sich als ethisch vollwertiger und grundsätzlich „gewaltloser“ zu profilieren.

Dabei habe ich jetzt noch gar nicht den Punkt angesprochen, dass für einige Menschen eine vegetarische oder vegane Ernährung gesundheitlich schwierig werden kann. Das ist jetzt nicht die Stelle für die Diskussion, ob man sich vegan ausgewogen ernähren kann. Die Tatsache ist: Für viele Menschen funktioniert es aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nur sehr mühsam. Das kann sich durchaus auch auf die geistige Gesundheit beziehen. Womit wir zum nächsten Thema kommen.

back view photo of a woman sitting near body of water doing yoga
Photo by Lucas Pezeta on Pexels.com

Gewaltlosigkeit sich selbst gegenüber

Ich kann nur Dinge in die Welt heraus tragen, die sich auch in mir befinden. Natürlich, ich kann auch nur so tun als ob, aber das hält nicht lange vor.

Oft sind wir es selbst, die uns den größten Schaden zufügen. Wie sieht es in deinem Inneren aus? Manchmal sagen wir uns selbst Dinge, die wir einem guten Freund (oder auch nur einem Fremden auf der Straße) niemals sagen würden. „Ach, das kriegst du sowieso nicht hin… darin warst du schon immer schlecht… die Anderen sind sowieso besser/schöner/stärker/beliebter“. Das sind nur ein paar harmlose Beispiele, du kannst dir sicher ganz andere denken.

Auch mit vielen Gewohnheiten in unserem Leben fügen wir uns selbst Schaden zu. Man muss nicht einmal Dinge wie Alkohol, Drogen und schlechte Ernährung (was auch immer das ist) ins Spiel bringen; das sowas nicht gut für uns ist, liegt auf der Hand.

Bist du gefangen in Routinen und Mustern, die dich davon abhalten, zu tun, was du wirklich willst? Auch das ist im übertragenen Sinne Gewalt dir selbst gegenüber.

In unserer Yogapraxis auf der Matte können wir uns täglich die Frage stellen, wie verhalte ich mich gewaltlos mir selbst gegenüber? Im Forrest Yoga arbeiten wir zum Beispiel gewohnheitsmäßig mit einem entspannten Nacken. Viele Menschen, die das zum ersten Mal ausprobieren, sagen mir nach der Stunde: „Ich wusste gar nicht, dass mein Nacken SO verspannt war! Sonst sagen Yogalehrer ja immer Dinge wie „Schau nach oben!“ oder drehen mir sogar den Hals in die vermeintlich richtige Richtung.“

Auch wenn du eine Yogastunde besuchst, ist Ahimsa dir selbst gegenüber deine Verantwortung. Wenn ein Lehrer dir Anweisungen gibt, die sich für dich nicht gut anfühlen, dann brauchst du sie nicht befolgen. Ich habe selbst schon viele Yogaklassen vollkommen fit betreten und dann mit Schmerzen verlassen, weil ich glaubte, ich muss unbedingt machen, was der Lehrer mir sagt. Auch der Yogalehrer sollte seinen Teil der Verantwortung tragen, nämlich in der Art und Weise, wie er Teilnehmer berührt (oder es besser sein lässt, wenn er nicht weiß, was er tut) und mit ihnen spricht.

Natürlich können wir andere Menschen auch mit Worten verletzen. Das ist für mich eine Stelle, an der ich arbeiten muss! Ich bin ein großer Fan der Ehrlichkeit und finde, man sollte die Dinge einfach immer so sagen, wie sie sind. Leider ist das nicht so… das bedeutet überhaupt nicht, das man lügen muss. Aber manchmal sollte man sich fragen: „Ist es jetzt wirklich notwendig, dass ich das sage? Oder ist es nicht für alle besser, das einmal unkommentiert zu lassen.“ Der Kontext spielt dabei durchaus eine Rolle. Wenn ein Mensch mich gut kennt und er weiß, ich bin sarkastisch, dann kann ich ganz andere Dinge sagen, als wenn jemand sowieso schon verunsichert ist, weil er mich in einer ganz neuen Situation gerade erst kennen gelernt hat.

Wie kann ich also Ahimsa leben?

Diese Frage muss sich jeder selbst beantworten, und zwar andauernd. Yoga bedeutet nicht, perfekt zu sein. Ethische Integrität bedeutet auch nicht, sich selbst niemals zu widersprechen. Vielmehr geht es darum, sich immer wieder die Frage zu stellen: Wie verhalte ich mich gewaltlos mir selbst und anderen, und auch der Welt als Kollektiv gegenüber? Wo habe ich vielleicht noch Raum nach oben, wo stoße ich an meine Grenzen? Nutze ich Ausreden, um mir die Sache zu bequem zu machen? Das kann und soll durchaus unangenehm werden… aber eben nicht zu sehr.

Wenn wir uns nur noch den Kopf darüber zerbrächen, wie wir möglichst gewaltlos leben, würden wir durchdrehen. Aber es lohnt sich, sich mit dem Thema auseinander zu setzen, wenn wir alle möglichst harmonisch miteinander leben wollen.